Notwendiger denn je (Interview) - Arbeit&Wirtschaft, 17.02.2016

Soziologin Susanne Pernicka über Strategien der Mitgliederwerbung und die Machtverschiebung zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen.

Arbeit&Wirtschaft: Lohnt es sich in Österreich, Gewerkschaftsmitglied zu sein? Immerhin gibt es eine starke Sozialpartnerschaft.

Susanne Pernicka: Die Frage müsste man von zwei Seiten stellen. Erstens: Lohnt es sich für die Gewerkschaft, Mitglieder zu haben? Zweitens: Lohnt es sich für den Einzelnen und die Einzelne, Gewerkschaftsmitglied zu sein?

Fangen wir bei den Mitgliedern an.

Da würde ich drei Argumente ins Feld führen. Mitglied in der Gewerkschaft zu sein ist heute wichtiger geworden, als es vielleicht noch vor zwei, drei Jahrzehnten war. Der Grund ist die Veränderung der Arbeitswelt, die sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit vollzieht und durch zahlreiche Entgrenzungsphänomene sichtbar wird. Es ist also notwendiger denn je, denn Arbeitsverhältnisse werden ja nicht besser, sondern eher schlechter. Es kommt zur Flexibilisierung, manchmal zum Vorteil, aber sehr häufig zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen.
Dazu kommt, dass sich das Kräftegleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital ganz massiv zulasten der ArbeitnehmerInnenseite verschoben hat. Grund dafür sind Prozesse der Internationalisierung und der Europäisierung. Die Europäische Union wird hauptsächlich als wirtschaftliche Union verstanden. In der Arbeits- und Sozialpolitik sowie in Bezug auf die Lohnpolitik sind die Kompetenzen primär auf der nationalstaatlichen Ebene verblieben. 
Diese Machtverschiebung führt dazu, dass sich die Arbeitgeber sehr viel mehr trauen. Zum Beispiel, dass man einen Arbeitsvertrag vergibt und keinen freien Dienstvertrag. Das ist einerseits Ausdruck dieser Machtverschiebung, andererseits  einer Veränderung in der normativ-kulturellen Vorstellung, was gut und richtig ist: Wie darf oder soll Arbeit organisiert werden? Und das hat sich stark in Richtung Flexibilisierung und Prekarisierung verschoben.

17. Feb. 2016
17. Feb. 2016